21.01.2011

Interview „Wir haben es satt“: „Eine ökologische Landwirtschaft kann sehr wohl die Welt ernähren!“

Am 22. Januar findet in Berlin die große Demonstration von „Wir haben es satt“ statt. Die Bewegung fordert eine nachhaltige Landwirtschaftspolitik ohne Gentechnik, Tierfabriken und Agrarexporte. Was sind Ursachen und Auswirkungen der derzeitigen Produktionsbedingungen und welche Forderungen stellt „Wir haben es satt“? Die Redaktion der UN-Millenniumkampagne sprach mit Jochen Fritz, Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und einer der Organisatoren der Demo.


1.     „Wir haben es satt“ ist ein breites Bündnis, das sich von BUND bis Slow Food erstreckt. Welche Ziele verfolgt das Bündnis? 

Wir sind ein breites Bündnis aus 120 Organisationen: Bauernorganisationen, Verbraucherschutzorganisationen und Tierschutzorganisationen. Wir gehen auf die Straße unter dem Motto: „Nein zu Gentechnik, Tierfabriken und Dumping-Exporten“. Wir setzen uns für eine Änderung der Agrarpolitik ein. Der Dioxin-Skandal - und das ist nur die Spitze des Eisberges - zeigt wie notwendig eine Agrarpolitik auf bäuerlich-ökologischer Basis ist.

2.     Die fatalen Auswirkungen der Lebensmittelskandale und hochindustrialisierten Landwirtschaft mit ihrer Massentierhaltung auf uns hier in Deutschland gehen derzeit durch alle Medien. Gibt es in Ihrem Bündnis auch Gruppen, die sich mit den Auswirkungen dieser Produktionsmethoden auf Entwicklungsländer (wie beispielsweise Klimawandel, abnehmende Biodiversität und die Konkurrenz von Biotreibstoffen versus Nahrungsmitteln) befassen?

Ja, die Landwirtschaft hierzulande schädigt Entwicklungsländer an zwei Stellen immens. Einerseits kann unsere Eiweißversorgung nur noch über Sojafutter aus Ländern des Südens gedeckt werden, speziell aus Brasilien, Argentinien, Paraguay. Es werden dort Großgrundbesitzer reich, indem sie Soja billig nach Europa exportieren. Die Bauern vor Ort können nicht mehr mit den Preisen mithalten und werden von ihrem Land verdrängt.

Auf der anderen Seite produzieren wir aber hierzulande mit diesem Futter in Tierfabriken günstige Lebensmittel im Überschuss. Wir haben immer eine Überproduktion von Milch und von Schweinefleisch! Begünstigt wird dies durch EU-Subventionen und führt zu weltweitem Dumping. Hierzu sagen wir Nein! Stoppt Exportdumping, stoppt die Subventionierung dieser Agrarfabriken.

3.     Welche Forderungen ergeben sich an die Bundesregierung und an die europäische Agrarpolitik? Und was gestaltet den Reformprozess so schwierig – wer profitiert vom derzeitigen System?

Wir sind erstmal sehr froh über den Vorschlag des EU-Agrarkommissars Dacian Ciolos, der diese Agrar-Direktzahlungen an Umweltziele und an Arbeitsplätze in der Landwirtschaft binden möchte. Im Bereich Entwicklungshilfe und -förderung ist der Vorschlag aber noch sehr schwach. Hier soll es weiterhin die Preisstützung für Überproduktion geben. Auch da möchten wir ein Stop! haben.

Andererseits müssen wir von der Bundesregierung fordern, die Blockade dieser Reform endlich aufzugeben. Deswegen gehen wir auf die Straße, um diesen neuen, verbesserten Ansatz des Agrarkommissars zu unterstützen.

4.     Ist eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft möglich ohne große Ertragseinbußen? Können wir alle Menschen ernähren, wenn auf Massentierhaltung, Pestizide und Gentechnik verzichtet wird?

Das können wir auf jeden Fall. Unsere momentane industrielle Landwirtschaft: „Feed not the world, we eat the world“ verbraucht Ressourcen, die landwirtschaftlich nur auf Erdöl aufgebaut sind. Generaldünger werden aus Erdöl produziert, Pestizide werden aus Erdöl produziert wie auch der Sprit der Traktoren. Eine bäuerliche Landwirtschaft, eine ökologische Landwirtschaft, verbraucht viel weniger Ressourcen und schont die Umwelt. Dadurch gehen natürlich die Erträge auf den Feldern zurück, in kleinen Mengen, aber wir haben einen Ernährungssicherheit für alle: Die Bauern können das herstellen, was in regionalen Märkten verbraucht wird.

Die Behauptung, dass nur die aktuelle Landwirtschaft die Menschen ernähren kann, ist absolut falsch und irreleitend. Diese Landwirtschaft hängt am Öl und an den Exporten aus den südlichen Ländern. Eine ökologische Landwirtschaft kann sehr wohl die Welt ernähren, wir müssen nur unseren Fleischkonsum ein wenig reduzieren. Das ist eine Hauptforderung an die Leser, an die Verbraucher: Lieber weniger Fleisch, dafür gutes und hochwertiges Fleisch essen, oder vielleicht auch ganz auf den Fleischkonsum verzichten. 

5.     Da Sie gerade auf der Grünen Woche sind: Können Sie uns Ihren ersten Eindruck der Messe schildern?

Es ist die Megashow der Agrarindustrie. Es wird mit Bauernglück für Fleisch vom Discounter geworben, das aber bestimmt nicht den Bauern glücklich macht, da er nicht mehr genug Geld für sein Fleisch bekommt.

Wiesenhof wirbt für Hühnchen, die noch nie eine Wiese gesehen haben und sicher nicht mehr auf einem Hof gehalten werden, und Landliebe macht auch nicht gerade nur Liebe zum Land, sondern sorgt für die Senkung der Milchpreise.

Man muss eines ganz klar machen, der Bauernverband mir seinem Präsidenten Herrn Sonnleitner vertritt nicht mehr die Bauern. Er vertritt die Interessen der Agrarindustrie, er vertritt die Interessen der Großbauern. Ein kleiner Bauer fühlt sich beim Bundesverband deutscher Milchtierhalter mehr zu Hause oder bei der AbL (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft; Anmerk. d. Red.). Das müssen die Medien endlich verstehen, dass das nicht mehr der einzige Verband ist. Der Bauernverband wirkt heute im Bündnis mit der Agrarindustrie - wer auf unserer Seite steht, steht mit den Verbrauchern in Kontakt und vertritt eine Landwirtschaft in Gemeinschaft von Verbraucher und Erzeuger und nicht gegen die Verbraucher, Dankeschön!

 

Bemerkung: Alle Antworten entsprechen der persönlichen Meinung des Befragten und spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der UN Millenniumkampagne wider.

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